Weidemyopathie des Pferdes
atypische Myopathie, atypische Myoglobinurie
(Dr. Fanny Saalschmidt, Mai 2019)
Die Weidemyopathie des Pferdes ist eine gefürchtete Erkrankung des Pferdes mit meist tödlicher Folge. Neben der Vorbeugung ist zur Verbesserung der Überlebenschancen betroffener Pferde vor allem ein frühes Eingreifen wichtig. Dieser Artikel soll zur Aufklärung und damit zur Verhinderung von Neuerkrankungen und schweren Verläufen beitragen.
Bis vor einigen Jahren hieß diese Erkrankung noch atypische Myopathie oder atypische Myoglobinurie, da die Krankheitsursache unbekannt war 1. Inzwischen sind Hypoglycin A (HGA) bzw. dessen Metabolite als Ursache identifiziert 2 und damit ist klar, dass es sich um eine Vergiftung handelt. HGA wurde u.a. in verschiedenen Spezies von Ahornbäumen (Sapindaceae) nachgewiesen 3.
Risokofaktoren für eine Vergiftung
Vergiftungen werden in den meisten Fällen nach der Aufnahme von Samen im Herbst oder Keimlingen im Frühjahr beobachtet. 20 g Samen oder 50 Keimlinge können je nach Standort und Klima bereits die tägliche höchste tolerierte Dosis des Gifts enthalten, aber auch Blütenstände oder Wasser, das mit den Keimlingen in Kontakt stand ( z.B. Regenwasser), sind giftig 3!
Daneben wurden weitere Risikofaktoren identifiziert. Es sind häufiger schlanke oder dünne Pferde betroffen, ebenso sind jüngere Tiere eher gefährdet als ältere. Auch die individuelle Darmflora des Tieres scheint einen Einfluss auf die Anfälligkeit zu haben 4.
Feuchte Weiden mit Zugang zu Wasser(läufen) auf abfallendem Gelände, mit viel Laub und Totholz sowie Baumbestand gelten als besonders gefährlich. Außerdem kommen Vergiftungen häufiger vor, wenn die Pferde kein zusätzliches Futter erhalten und die Wiesen nicht abgesammelt werden, sondern der Kot verteilt („geschleppt“) wird 5,6.
Dazu scheint es in einigen Jahren eine möglicherweise klimabedingte Häufung von Fällen zu geben 7, der Frühling in diesem Jahr spricht dafür, dass 2019 wieder ein Jahr mit vielen Vergiftungsfällen sein wird!
Krankheitsverlauf nach Aufnahme von HGA
Hypoglycin A und Methylencyclopropylglycin (MCPG) sind als giftige Komponenten von Samen und Keimlingen identifizeirt. Sie hemmen die ß-Oxidation der Fettsäuren und damit die Energiegewinnung aus diesen. Es kommt zu einer Einlagerung kleiner Fettvakuolen in den Muskelzellen und zur Nekrose, also dem Absterben von Muskelzellen. Betroffen sind vor allem quergestreifte Muskulatur am Rumpf, aber auch Atem- und Herzmuskulatur 2,8,9.
Symptomatisch können die Pferde sehr unterschiedlich auffallen. Einige Pferde zeigen wenige oder schwache Symptome wie eine beschleunigte Herzfrequenz oder hängenden Kopf sowie generell Schwächesymptome. Andere jedoch sind bereits auf den ersten Blick schwer krank: Seitenlage, Zittern, rötlich-brauner Urin, schwere Herzprobleme, schnelle Atmung, Unwilligkeit oder Unfähigkeit zu laufen oder sogar Festliegen sind schwerwiegende Vergiftungsfolgen, auch plötzliche Todesfälle kommen vor 10,11. Fast immer treten nur wenige dieser Symptome zugleich auf, sodass ein anfänglicher Verdacht meist eher unspezifisch ist.
So besteht sehr oft zuerst der Verdacht auf Kolik, die Pferde fallen aber auf, weil sie meist weiterhin Appetit haben, die Körpertemperatur ist in der Regel ebenfalls unverändert.
Verdacht und Diagnose
Fällt ein Pferd mit Symptomen einer Weidemyopathie auf, muss umgehend ein Tierarzt zurate gezogen werden. Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Betroffene Pferde müssen umgehend behandelt werden. Die Diagnose oder den Verdacht zu äußern, ist aber nicht immer einfach, da die Symptome vielfältig sein können und mitunter (noch) nicht stark ausgeprägt sind. So muss u.U. anhand einer gründlichen Anamnese auf die Möglichkeit geschlossen werden, dass es sich um eine Weidemyopathie handeln kann.
Im Blut können Metabolite des Gifts nachgewiesen werden, zumeist erfolgt die Diagnose aber auch heute noch anhand sehr stark erhöhter Muskelenzyme 2. Es werden vor allem Creatinkinase (CK) und Laktat-Dehydrogenase gemessen, im Fall einer Weidemyopathie sind Erhöhungen um das 200-4000fache des oberen Referenzwertes keine Seltenheit 12. Scheiden die Pferde roten oder rot-braunen Urin aus, ist das Absterben der Muskelzellen bereits massiv fortgeschritten, da der Muskelfarbstoff Myoglobin den Urin färbt und erst nach dem Untergang der Zellen in den Urin übertreten kann. Dieser Farbstoff ist außerdem schädlich für Leber und Nieren.
Problematisch ist immer das Zeitmanagement. Ehe in der Außenpraxis die Ergebnisse eines Blutbilds eintreffen, vergehen in der Regel 24 h. In dieser Zeit kann sich das Krankheitsbild dermaßen verschlechtern, dass das Pferd im Zweifelsfall festliegt und nicht mehr transportfähig ist.
Daher wird der behandelnde Tierarzt bei einem Verdacht auf eine Weidemyopathie umgehend in eine Klinik überweisen.
Therapie
Nachdem alle Pferde umgehend von der Weide entfernt wurden, müssen die betroffenen Pferde symptomatisch behandelt werden. Dazu gehören u.a. Infusionstherapie, bei Bedarf mit Therapie metabolischer Veränderungen und ausreichender Energieversorgung, Behandlung mit Schmerzmitteln / Entzündungshemmern und Membranschutz durch hoch dosierte Gaben von Vitamin E und Selen. Hinzu kommen bei Bedarf weitere Akutmaßnahmen und eine intensive Überwachung 7. Durch die Gabe von Aktivkohle und / oder Enteroconpulver ® kann versucht werden, eine weitere Resorption von HGA aus dem Dünndarm zu verhindern 13.
Trotz intensiver medizinischer Versorgung und den Überwachungsmöglichkeiten, die in einer Klinik zur Verfügung stehen, liegt die Prognose für das Überleben nur bei etwa 25% 5,7,12.
Rekonvaleszenz und Spätfolgen
Nach der Entlassung aus der Klinik, wenn sich der Allgemeinzustand des Pferdes stabilisiert hat, steht dem betroffenen Tier eine lange Rekonvaleszenz bevor. Neben einer weiteren Gabe von Schmerzmitteln je nach tierärztlicher Anweisung ist anfangs die Bewegung nur sehr kontrolliert und immer unter Beachtung der Sicherheit des Menschen zu gewährleisten. Die Fütterung muss eine ausreichende Energieversorgung sowie Versorgung mit hochwertigen Aminosäuren und Mineralien gewährleisten, um einen erlittenen Gewichtsverlust zu korrigieren. Die Erstellung eines individuellen Futterplans durch einen Tierarzt bietet sich an. Weidegang ist erst nach vollständiger Wiederherstellung der Beweglichkeit möglich, die als ursächlich identifizierten Flächen sollten nicht mehr beweidet werden. Es findet keine „Immunisierung“ gegen das Gift statt, einmal betroffene Pferde können sich immer wieder vergiften!
Nach langer Rekonvaleszenz können die Folgen vollständig ausheilen, es konnten aber noch zehn Wochen nach der Erkrankung Veränderungen am Herzmuskel nachgewiesen werden 14.
Vorbeugung
Die sicherste Variante zur Vorbeugung einer Vergiftung mit HGA ist das Meiden von Flächen, auf denen oder in deren Nähe Ahornbäume wachsen, oder die andere Kriterien der o.g. Risikofaktoren (Baumbestand, Laub, Totholz, Wasserläufe) erfüllen. Lässt sich das nicht umsetzen, sind Ahornbäume weiträumig abzuzäunen. Ahornsamen können fast 200 m weit fliegen! Außerdem sollte den Pferden zusätzlich Raufutter zur Verfügung gestellt werden bzw. die Weidezeiten verkürzt werden 7. Auch sollte die Besatzdichte der Weiden verringert werden, damit für jedes Pferd ausreichend Weide guter Qualität zur Verfügung steht. Ahornsamen können abgesammelt und Keimlinge ausgerissen werden. Das Mähen verringert die Giftigkeit von Keimlingen nicht, auch bleibt das HGA in Heu und Heulage giftig 15.
Es besteht auch die Möglichkeit, Pflanzenteile auf ihren HGA-Gehalt testen zu lassen 11.
Quellen:
1. Whitwell, K. E., Harris, P. & Farrington, P. G. Atypical myoglobinuria: An acute myopathy in grazing horses. Equine Vet. J. 20, 357–363 (1988).
2. Bochnia, M. et al. Detection of MCPG metabolites in horses with atypical myopathy. PLoS ONE 14, (2019).
3. Votion, D. M. et al. Potential new sources of hypoglycin A poisoning for equids kept at pasture in spring: a field pilot study. Vet. Rec. (2019). doi:10.1136/vr.104424
4. Abstract ECEIM 2017.pdf. Available at: https://orbi.uliege.be/bitstream/2268/216799/1/Abstract%20ECEIM%202017.pdf. (Accessed: 4th May 2019)
5. Galen, G. van et al. European outbreaks of atypical myopathy in grazing horses (2006–2009): Determination of indicators for risk and prognostic factors. Equine Vet. J. 44, 621–625 (2012).
6. Votion, D.-M. et al. Atypical myopathy in grazing horses: A first exploratory data analysis. Vet. J. 180, 77–87 (2009).
7. Haggett, E. Equine Atypical Myopathy. Available at: https://www.rossdales.com/assets/files/abhorse_atypical_myopathy.pdf. (Accessed: 4th May 2019)
8. Valberg, S. J. et al. Seasonal pasture myopathy/atypical myopathy in North America associated with ingestion of hypoglycin A within seeds of the box elder tree. Equine Vet. J. 45, 419–426 (2013).
9. Cassart, D. et al. Morphological alterations in oxidative muscles and mitochondrial structure associated with equine atypical myopathy. Equine Vet. J. 39, 26–32 (2007).
10. Atypical Myopathy “Sycamore Poisoning” in Horses – information for owners | Liphook Equine Hospital | Ongoing Excellence. Available at: https://liphookequinehospital.co.uk/news/2014/11/atypical-myopathy-sycamore-poisoning-in-horses-information-for-owners/. (Accessed: 4th May 2019)
11. Atypical Myopathy Fact File – Fact Files – Information and Advice – RVC Equine – Royal Veterinary College, RVC. Available at: https://www.rvc.ac.uk/equine-vet/information-and-advice/fact-files/atypical-myopathy#panel-clinical-signs. (Accessed: 4th May 2019)
12. Brehm, D. W., Schoon, D. H.-A., Coenen, D. M. & Schusser, D. G. F. LBH: 8. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 2.
13. Untersuchungen zur intestinalen Resorption von Hypoglycin A im Hinblick auf die Atypische Myopathie des Pferdes. (Tierärztliche Hochschule Hannover, 2017).
14. Verheyen, T., Decloedt, A., Clercq, D. D. & Loon, G. van. Cardiac Changes in Horses with Atypical Myopathy. J. Vet. Intern. Med. 26, 1019–1026 (2012).
15. González-Medina, S., Montesso, F., Chang, Y.-M., Hyde, C. & Piercy, R. J. Atypical myopathy-associated hypoglycin A toxin remains in sycamore seedlings despite mowing, herbicidal spraying or storage in hay and silage. Equine Vet. J. (2019). doi:10.1111/evj.13070